Neue Sicht der Dinge
Gregor Jansen / 2008
Geometrische Muster mit klaren horizontalen und vertikalen Linien stehen parallel oder frontal auf im weiten Querformat angelegten Bildflächen im so genannten Bildraum. Messerscharf gezogen ist ihnen eine Regelhaftigkeit zu eigen, die dennoch nicht einem genauen Schema oder Bauplan folgt, sondern in den Variationen die Möglichkeiten von Horizont und Höhendefinition als Koordinatensystem mit drei Achsen im Raum markiert. (...) Das beherrschende Prinzip der Bilder ist die Axialität und Symmetrie, farbliche Reduktion des Beschriebenen, meist kommen nur zwei oder drei Farben in einem Bild vor, und die klassische Aufteilung des Bildraums nach den Prinzipien der Landschaftsmalerei mit niedrigem Horizont. Die Dimensionen der Arbeiten verstärken diesen Eindruck, sind jedoch nicht klassisch, sondern eher medienhistorisch mit der Fotografie oder dem Film verbunden. Womit wir ins Thema kommen.
Die Bilder von Hannes Norberg sind Fotografien. Fotografien basieren auf dem Lichteinfall von Objekten durch Linsen auf ein lichtempfindliches Material. Die durch das Objektiv gebündelten Lichtstrahlen werden festgehalten und man spricht daher auch von einem Speichermedium. Dieser Bildspeicher ist folglich begrenzt und hält gleichwohl unendliche Variationen bereit. Fotografien haben den Vorteil der Ikonizität, die Beziehung von realem und abgebildetem Gegenstand ist sehr eng, womit ihnen folglich ein hoher Wahrheitsgehalt zugesprochen wird. Da die in den Fotografien von Hannes Norberg wiedergegebenen Objekte sehr einfache und auf wenige Farben reduzierte, geometrische Formen sind, entsteht schnell der Eindruck des objektiven, konkreten und realitätsgetreuen Bildes. Dem Auge wird es einfach gemacht, den Inhalt der Bildfläche zu erfassen und dank des radikalen Invariantenschemas auch schnell als fotografiertes Modell im Raum zu erkennen und zu verstehen.
Die Fotografien folgen also einem Code, mit dem eine bestimmte Rhetorik entwickelt wird. Die Bildverknüpfungen und deren unterschiedliche Aktualitäten formulieren sich nach einem Grundmuster immer wieder neu und bleiben doch konstant, so dass die Werke von einer klaren Syntax bestimmt sind: der flächigen Raumkonstruktion und ihrer parallelen Durchdringung. Die Linien aller Achsen sind mit Volumen ausgestattet, die durch das Licht charakterisiert, durch die Textur der Materialen und in den letzten Aufnahmen auch durch die flächigen Muster auf der Bildvordergrundebene, der Standfläche der Modelle, vermittelt werden. Einfach modelliert, klar strukturiert, dreidimensional moduliert, rhythmisch komponiert, kompositorisch balanciert, lichttechnisch definiert, räumlich abstrahiert, und in absoluter Bildlogik ikonisch eindeutig, haben wir es mit einem malerischen Denken in räumlicher Komposition auf fotografischer Wiedergabeebene zu tun. Und im Medium der Fotografie bleibt alles ganz abstrakt und doch extrem konkret, was es ist – zumindest als Modell des Mediums! Was folgert daraus? (...)
Viel ließe sich erzählen über die Bildauffassungen der letzten Jahrhunderte, in den Kirchen und Häusern, in den Gemälden und Fotografien, über den Wandel der Gesinnung bei den Künstlern und ihre immer abstrakter werdende Weltsicht als Innensicht. Erzählungen über den Austausch von Wahrnehmung und Erkenntnis, die letztlich neue Wahrnehmungen zur Folge hat, in deren Folge die Erkenntnis ein ausdifferenziertes System vor allem des Bildes entwickelt hat.
Auch Norberg entwickelt seine Bilder im Studierzimmer, am Arbeitsplatz, am Werktisch, oder wenn man so will in einem Labor, welches visuelle Erkenntnis untersucht und durchleuchtet. Ebenso sind die Vorstudien auf Millimeterpapier architektonischen Skizzen verwandt, in denen er die Proportionen von Architekturgliedern, Raumkörpern und plastischer Monumentalität ausprobiert, analysiert und einer zweidimensionalen Überprüfung unterwirft, die dann ein Stadium später mit farbigen Prüfreihen und letztlich als Modellgebilde auf dem Zeichentisch ihre Erstreckung in die Tiefe und Höhe des Raumes einfordern. Das Ergebnis ist dann eine meist großformatige Fotografie, in deren Bildgeviert die räumliche Metapher Bild als Konstruktion erscheint, die ihren Modellcharakter nicht leugnet, aber auch eine Beziehung zwischen der Fläche und dem Umraum weitgehend konterkariert. Es ist somit nicht eindeutig zu entscheiden, ob eine malerische Komponente überwiegt, die er im Raum denkt, oder eher die räumliche Komponente dominiert, die er malerisch, also im fiktionalen Flächenraum erkennt. Oder wenn es kinematographisch gedacht wird, ob die Leinwand das Rechteck im Raum innerhalb der alten Lichtspielhäuseridee – vergleichbar den Drive-ins des japanischen Fotografen Sugimoto – verkörpert und somit nur auf die Projektion wartet. Projektionsflächen sind es bisweilen, klar und nüchtern, statisch gebaut, gegliedert, beschnitten oder zersplittert, zerschreddert.
Aber es bleibt ganz bewusst unbestimmt! Hier helfen gerade die letzten Arbeiten, auf denen ineinander und übereinander geschachtelte und mal schwarz, blau oder orange eingefärbte Styrodur-Elemente wie eine Art Eismeer von Caspar David Friedrich, hergestellt als Tafelbild, oder aber eine Architektur des Dekonstruktivismus bilden, hergestellt mittels eines CAD-Programms. Diese Gebilde sind Schichtungen ohne eine funktionale Zuordnung, wie sie die konstruktiven Gebilde mit normal statischen Gegebenheiten von Wand und Stütze vorgaben. Aber in ihnen wird die Situation des Studios deutlicher und die Nähe zur Malerei abstrakter. Hannes Norberg stellt in den bildparallelen Monochromien die andere Seite dar, eine erhabene, monumentale Setzung des Bildgevierts als Modell und Bild im Bildgeviert der Fotografie, womit die Unterscheidung zwischen obigen Bild-Raum-Konstruktionen zwar deutlicher, gleichwohl unentschieden ausgeht.
Ein Ergebnis bleibt. Es ist die Unentscheidbarkeit zwischen den Medien und den Stadien der Wahrnehmung, zwischen den Prinzipien des Labors und denen der Anwendung. Technische Perfektion als Kontrolle über die Modelle oder die Modelle als Kontrolle über die Technik – im Sinne des Menschen, im Sinne der Menschheit. Muss man fragen? Hannes Norberg gelingt es, unsere konventionellen Beziehungen zu unserer Umwelt zu verwandeln, indem er flächig verdichtete, in die strenge Geometrie gespannte, skulptural gedachte Bild-Räume gestaltet, die die Realität behandeln und transzendieren. Indem Norberg handwerklich ungemein präzise mit Modellbau-Materialien arbeitet, die an Architekturfragmente oder -modelle erinnern und zugleich die abstrakte Malerei thematisiert, in einem analytischen Umgang mit den Dingen Maßstabsverschiebung und Fragmentierung vollzieht, entsteht eine kühle Ästhetik voller Klarheit und einfacher Strukturen, zugleich aber notwendiger Entfremdungen, die das Altbekannte neu sichtbar macht.
Gregor Jansen ist ein deutscher Kunsthistoriker, Kritiker und Ausstellungsmacher. Von 2005 bis 2010 war er Direktor des ZKM / Museum für moderne Kunst in Karlsruhe, seit 2010 ist er Leiter der Kunsthalle Düsseldorf.
Erschienen in: Monografie Hannes Norberg, Salon Verlag, Köln, 2008. Mit Texten von Mark Gisbourne und Gregor Jansen, Englisch / Deutsch. Hardcover, 22 × 28 cm, 80 Seiten, ISBN 978-3-89770-334-6
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Neue Sicht der Dinge
Gregor Jansen / 2008
Geometrische Muster mit klaren horizontalen und vertikalen Linien stehen parallel oder frontal auf im weiten Querformat angelegten Bildflächen im so genannten Bildraum. Messerscharf gezogen ist ihnen eine Regelhaftigkeit zu eigen, die dennoch nicht einem genauen Schema oder Bauplan folgt, sondern in den Variationen die Möglichkeiten von Horizont und Höhendefinition als Koordinatensystem mit drei Achsen im Raum markiert. (...) Das beherrschende Prinzip der Bilder ist die Axialität und Symmetrie, farbliche Reduktion des Beschriebenen, meist kommen nur zwei oder drei Farben in einem Bild vor, und die klassische Aufteilung des Bildraums nach den Prinzipien der Landschaftsmalerei mit niedrigem Horizont. Die Dimensionen der Arbeiten verstärken diesen Eindruck, sind jedoch nicht klassisch, sondern eher medienhistorisch mit der Fotografie oder dem Film verbunden. Womit wir ins Thema kommen.
Die Bilder von Hannes Norberg sind Fotografien. Fotografien basieren auf dem Lichteinfall von Objekten durch Linsen auf ein lichtempfindliches Material. Die durch das Objektiv gebündelten Lichtstrahlen werden festgehalten und man spricht daher auch von einem Speichermedium. Dieser Bildspeicher ist folglich begrenzt und hält gleichwohl unendliche Variationen bereit. Fotografien haben den Vorteil der Ikonizität, die Beziehung von realem und abgebildetem Gegenstand ist sehr eng, womit ihnen folglich ein hoher Wahrheitsgehalt zugesprochen wird. Da die in den Fotografien von Hannes Norberg wiedergegebenen Objekte sehr einfache und auf wenige Farben reduzierte, geometrische Formen sind, entsteht schnell der Eindruck des objektiven, konkreten und realitätsgetreuen Bildes. Dem Auge wird es einfach gemacht, den Inhalt der Bildfläche zu erfassen und dank des radikalen Invariantenschemas auch schnell als fotografiertes Modell im Raum zu erkennen und zu verstehen.
Die Fotografien folgen also einem Code, mit dem eine bestimmte Rhetorik entwickelt wird. Die Bildverknüpfungen und deren unterschiedliche Aktualitäten formulieren sich nach einem Grundmuster immer wieder neu und bleiben doch konstant, so dass die Werke von einer klaren Syntax bestimmt sind: der flächigen Raumkonstruktion und ihrer parallelen Durchdringung. Die Linien aller Achsen sind mit Volumen ausgestattet, die durch das Licht charakterisiert, durch die Textur der Materialen und in den letzten Aufnahmen auch durch die flächigen Muster auf der Bildvordergrundebene, der Standfläche der Modelle, vermittelt werden. Einfach modelliert, klar strukturiert, dreidimensional moduliert, rhythmisch komponiert, kompositorisch balanciert, lichttechnisch definiert, räumlich abstrahiert, und in absoluter Bildlogik ikonisch eindeutig, haben wir es mit einem malerischen Denken in räumlicher Komposition auf fotografischer Wiedergabeebene zu tun. Und im Medium der Fotografie bleibt alles ganz abstrakt und doch extrem konkret, was es ist – zumindest als Modell des Mediums! Was folgert daraus? (...)
Viel ließe sich erzählen über die Bildauffassungen der letzten Jahrhunderte, in den Kirchen und Häusern, in den Gemälden und Fotografien, über den Wandel der Gesinnung bei den Künstlern und ihre immer abstrakter werdende Weltsicht als Innensicht. Erzählungen über den Austausch von Wahrnehmung und Erkenntnis, die letztlich neue Wahrnehmungen zur Folge hat, in deren Folge die Erkenntnis ein ausdifferenziertes System vor allem des Bildes entwickelt hat.
Auch Norberg entwickelt seine Bilder im Studierzimmer, am Arbeitsplatz, am Werktisch, oder wenn man so will in einem Labor, welches visuelle Erkenntnis untersucht und durchleuchtet. Ebenso sind die Vorstudien auf Millimeterpapier architektonischen Skizzen verwandt, in denen er die Proportionen von Architekturgliedern, Raumkörpern und plastischer Monumentalität ausprobiert, analysiert und einer zweidimensionalen Überprüfung unterwirft, die dann ein Stadium später mit farbigen Prüfreihen und letztlich als Modellgebilde auf dem Zeichentisch ihre Erstreckung in die Tiefe und Höhe des Raumes einfordern. Das Ergebnis ist dann eine meist großformatige Fotografie, in deren Bildgeviert die räumliche Metapher Bild als Konstruktion erscheint, die ihren Modellcharakter nicht leugnet, aber auch eine Beziehung zwischen der Fläche und dem Umraum weitgehend konterkariert. Es ist somit nicht eindeutig zu entscheiden, ob eine malerische Komponente überwiegt, die er im Raum denkt, oder eher die räumliche Komponente dominiert, die er malerisch, also im fiktionalen Flächenraum erkennt. Oder wenn es kinematographisch gedacht wird, ob die Leinwand das Rechteck im Raum innerhalb der alten Lichtspielhäuseridee – vergleichbar den Drive-ins des japanischen Fotografen Sugimoto – verkörpert und somit nur auf die Projektion wartet. Projektionsflächen sind es bisweilen, klar und nüchtern, statisch gebaut, gegliedert, beschnitten oder zersplittert, zerschreddert.
Aber es bleibt ganz bewusst unbestimmt! Hier helfen gerade die letzten Arbeiten, auf denen ineinander und übereinander geschachtelte und mal schwarz, blau oder orange eingefärbte Styrodur-Elemente wie eine Art Eismeer von Caspar David Friedrich, hergestellt als Tafelbild, oder aber eine Architektur des Dekonstruktivismus bilden, hergestellt mittels eines CAD-Programms. Diese Gebilde sind Schichtungen ohne eine funktionale Zuordnung, wie sie die konstruktiven Gebilde mit normal statischen Gegebenheiten von Wand und Stütze vorgaben. Aber in ihnen wird die Situation des Studios deutlicher und die Nähe zur Malerei abstrakter. Hannes Norberg stellt in den bildparallelen Monochromien die andere Seite dar, eine erhabene, monumentale Setzung des Bildgevierts als Modell und Bild im Bildgeviert der Fotografie, womit die Unterscheidung zwischen obigen Bild-Raum-Konstruktionen zwar deutlicher, gleichwohl unentschieden ausgeht.
Ein Ergebnis bleibt. Es ist die Unentscheidbarkeit zwischen den Medien und den Stadien der Wahrnehmung, zwischen den Prinzipien des Labors und denen der Anwendung. Technische Perfektion als Kontrolle über die Modelle oder die Modelle als Kontrolle über die Technik – im Sinne des Menschen, im Sinne der Menschheit. Muss man fragen? Hannes Norberg gelingt es, unsere konventionellen Beziehungen zu unserer Umwelt zu verwandeln, indem er flächig verdichtete, in die strenge Geometrie gespannte, skulptural gedachte Bild-Räume gestaltet, die die Realität behandeln und transzendieren. Indem Norberg handwerklich ungemein präzise mit Modellbau-Materialien arbeitet, die an Architekturfragmente oder -modelle erinnern und zugleich die abstrakte Malerei thematisiert, in einem analytischen Umgang mit den Dingen Maßstabsverschiebung und Fragmentierung vollzieht, entsteht eine kühle Ästhetik voller Klarheit und einfacher Strukturen, zugleich aber notwendiger Entfremdungen, die das Altbekannte neu sichtbar macht.
Gregor Jansen ist ein deutscher Kunsthistoriker, Kritiker und Ausstellungsmacher. Von 2005 bis 2010 war er Direktor des ZKM / Museum für moderne Kunst in Karlsruhe, seit 2010 ist er Leiter der Kunsthalle Düsseldorf.
Erschienen in: Monografie Hannes Norberg, Salon Verlag, Köln, 2008. Mit Texten von Mark Gisbourne und Gregor Jansen, Englisch / Deutsch. Hardcover, 22 × 28 cm, 80 Seiten, ISBN 978-3-89770-334-6
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