Konstruktion und Idee
Markus Löffelhardt / 2005
Immer gleiches Material.
Dämmstoffplatten unterschiedlicher Stärke.
Zugeschnitten und mit der Walze überfärbt.
Die architektonisch anmutenden Konstruktionen Hannes Norbergs verweisen einerseits deutlich auf das Sujet der Architektur. Architektur, die als Inbegriff und Symbol eines materiell gedachten, vom Menschen entworfenen Beziehungsraumes fungiert. Andererseits wird in der Banalität des immer gleichen homogenen, richtungslosen und instabilen Materials ein bewusstes Desinteresse an der materiellen Dingwelt, der architektonisch-statischen Konstruktion thematisiert.
Feine Diagonalen führen den Betrachter bisweilen in die Tiefe der Bildgründe. Gleichzeitig jedoch wird diese Raumaneignung konterkariert, indem eine flache Staffelung von Tiefenebenen aus dünnen Platten die Räumlichkeit zusammenpresst. Manchmal sind die Raum schaffenden Diagonalen auch gänzlich aus den Ansichten verbannt und dadurch fast reine Flächigkeit realisiert, die nur noch durch zarteste Schattenwirkungen der flachen Körper Räumlichkeit erahnen lassen.
Die auf axiale Ansichten reduzierten Raumausschnitte folgen strenger Symmetrie und lassen ein dynamisches Erleben und Begreifen dreidimensionaler Perspektiven nicht zu. Die dazu notwendige Bewegungsfreiheit gefriert in der Axialität eines einzigen Standpunkts. Aus einem Moment scheinbar atemlosen Innehaltens entsteht ein Zustand größter Konzentration. Größenverhältnisse lassen sich aus den Ansichten ebenso wenig eruieren, wie der Entstehungsprozess oder die verwendeten Materialien. Allenfalls feinste, erst bei längerer Betrachtung auszumachende Spuren handwerklicher Bearbeitung, materieller Textur, seien es Stoßkanten oder Zeichen von farblicher Oberflächenfassung finden sich in den großformatigen Fotos. Materiell-sinnliche Momente werden bewusst auf ein Minimum reduziert. Eine klare Beschränkung auf wenige Bildmittel, mit wenigen Konstanten ergibt ein überschaubares Repertoire an Steuerungsparametern, das dem Künstler das Umsetzen seiner sehr präzisen Bildvorstellungen ermöglicht.
Norberg schöpft sein Formenvokabular aus einer eindeutig klassischen Tradition–Axialität, Symmetrie, strenger Bildaufbau und sensibles Abwägen der Proportion–wie sie auch von den Minimalisten verarbeitet wurde. Der von ihm verwendete Formenkanon lässt beispielsweise die Plastiken Donald Judds assoziieren, offenbart gleichzeitig jedoch gravierende Differenzen: Donald Judd: „Drei Dimensionen sind wirklicher Raum. Das befreit vom Problem des Illusionismus und des nur bezeichneten Raumes–Raum in und um Markierungen und Farben–, ist Befreiung von einem der hervorstechendsten Relikte europäischer Kunst, einem, gegen das am meisten vorzubringen ist."1 Judd reduzierte seine Objekte bis zu einem Punkt, an dem keine Verunsicherung mehr stattfinden kann und wollte die Problematik des visuellen Transfers kategorisch ausklammern. In dieser Vorgehensweise kommt die grundsätzlich positive Einstellung dieser Künstlergeneration hinsichtlich ihrer eigenen Fähigkeiten und künstlerischen Potenziale zum Ausdruck.
Norberg will nichts ausklammern, nichts vermeiden, nichts umgehen. Vielmehr stürzt er sich geradezu in den Strudel der Zweifelhaftigkeiten; scheut nicht deren Abgründe. Die Thematik seiner Arbeiten finden sich im Fokus eines heute bestimmenden Misstrauens gegenüber der scheinbar einfachen Konstruktion einer Dualität geistiger Innen- und materieller Außenwelt. Der Philosoph Gottlob Frege demontierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die über das Visuelle vermittelte Beziehung von Geist und Welt mit seiner in Einfachheit kaum überbietbaren Formulierung: „Netzhautbilder können nicht gesehen werden".2 Der radikale Zweifel an allen Sinneseindrücken, wie ihn Descartes hypothetisch formulierte, führt bekanntlich in die vollkommene Isolation, zur unüberwindlichen Gefangenschaft in der individuellen Geisteswelt.3 Frege dagegen stellte lediglich den Mechanismus der Wahrnehmung als fragwürdige Interpretationsleistung des Individuums in Frage.
Wo stehen wir heute? Die vollkommene Demontage des Vertrauens in das Bild als Abbild, als Verweis auf etwas anderes, wird mit der Erfahrung kontrastiert, dass die inflationäre Bilderflut unserer Tage keineswegs die erwartete Entwertung des Bildes im Sinne eines schwindenden Realitätsgrades nach sich zieht. Im Gegenteil wird immer deutlicher, dass Bilder heute einen Realitätsgrad erreichen, der dem mittelalterlicher Bilderverehrung in nichts nachsteht.
Die Bilder Hannes Norbergs bewegen sich genau in diesem Spannungsraum zwischen Illusionismus und autonomem Bild. Sie sind keine Zufallsprodukte oder Ergebnisse spontaner Gestaltungsideen, keine künstlerischen Schöpfungen in der Art, wie sie Platon einst zu beschreiben versuchte. Im Zustand des Enthusiasmos, also einem irrationalen, der Reflexion nicht mehr zugänglichen Geisteszustand, glaubte der Philosoph jegliches künstlerische Schaffen ansiedeln zu müssen. Dass über die Vermittlung von unzuverlässigen Sinnesdaten Erkenntnis entstehen könnte, lehnte er kategorisch ab, was ihn wie bekannt in nicht unerhebliche Schwierigkeiten brachte, empfahl er doch anderenorts das Messen, Zählen und Wägen als Mittel, von bloßem Meinen zu Wissen zu gelangen. Seinem nach rationaler Erkenntnis strebendem Geist, der die Sinnesvermittlung generell ablehnt, bleibt schließlich lediglich die Mathematik als Wissenschaft zur Gewinnung unzweifelhafter Erkenntnis.4 Platon warf damit eine noch heute aktuelle und ungelöste epistemologische Problematik auf.
Die Arbeiten Norbergs dürfen nicht in den Bereich des Irrationalen gedrängt werden, wenngleich dem Künstler solche Impulse kein absolutes Tabu bedeuten. Der Entstehungsprozess von der ersten Entwurfsidee bis hin zum fertigen Bild wird in präzise reflektierten und konsequenten Prozessen vorangetrieben. Am Anfang stehen unzählige Skribbles, lockere Ideenskizzen, die später auf Millimeterpapier gebracht konkretisiert werden. Meist sind geometrische Grundformen Ausgangspunkt der Bildfindung. Proportionen werden abgewogen, Flächen und Farben gegeneinander gestellt. Von dort führt der Weg weiter zum Modell aus industriell gefertigten Dämmplatten, das den komplexen Einflüssen von Licht und Schatten ausgesetzt wird. Flächen werden dabei zerteilt, durch Schattenkanten und Farbmodulierungen die gewünschten Wirkungen präzisiert. Die Fotografie der Komposition und die anschließende Weiterentwicklung ist dabei reines Gestaltungsmittel auf dem Weg zum fertigen Bild. Ein Bild, das nicht als Verweis auf die materielle Konstruktion verstanden werden will, sondern als Endergebnis eines komplexen Entwurfs- und Gestaltungsprozesses. Dazu kommt eine intensive geistige Auseinandersetzung mit den künstlerischen Positionen seiner Zeit–sei es die amerikanische Farbfeldmalerei oder auch jüngere Positionen zeitgenössischer Fotografie– denen sich der Künstler öffnet und die damit einen permanenten inhaltlichen, wie formalen Einfluss auf seine Arbeit ausüben, diese in Frage stellen und Weiterentwicklungen bewirken. Beim Betrachten der Fotografien ist nicht mehr unmittelbar zu erkennen, dass es sich um Fotografien von gebauten Objekten handelt. Auch mit anderen Mitteln, beispielsweise durch Malerei oder mit Grafikprogrammen ließen sich solche Ansichten generieren.
Das bedeutet natürlich nicht, dass hier eine Inszenierung von Sinnestäuschung im Sinne eines Trompe l'œils angestrebt würde. Vielmehr ist die genaue Identifizierung unwichtig geworden. Die Verwendung des Mediums Fotografie stellt für den Künstler die schlüssigste Vorgehensweise dar, da sie der Polarität zwischen Dingwelt und Abbild Rechnung trägt. Das Verlassen der Motivation zur Identifizierbarkeit des Bildes erscheint vor dem Hintergrund eines jahrzehntelangen Bemühens um Exaktheit und Aufrichtigkeit in Bezug auf visuelle Transferleistungen, als bedeutungsvoller Paradigmenwechsel künstlerischer Orientierung.
Norbergs Medien werden als Werkzeuge benutzt, um sie einer Vorstellung, einer Bildidee dienstbar zu machen. Die Medien selbst haben dabei keine tiefere Bedeutung mehr, sondern nur dienende Funktion. Impetus ist die Produktion eines Bildes, das den ästhetischen Vorstellungen des Künstlers entspricht. Das Bild steht schließlich vollkommen autonom, ohne auf ein Dahinter verweisen zu wollen. Die Interaktion zwischen Bild und Betrachter wird damit zum zentralen Thema.
Die Bilder folgen strengen, als klassisch zu bezeichnende Ordnungsschemata und offenbaren sich damit als Geste der Sehnsucht nach Stabilität und Klarheit in einem Kosmos der Ästhetik. Die Widersprüchlichkeiten, die in den Arbeiten Norbergs virulent werden, einerseits die klare Anspielung und Verwendung einer Bildgrammatik aus der Wahrnehmungsgewohnheit einer dreidimensionalen Körperwelt, andererseits das Ignorieren oder gar die Negation derselben, also das changierende Erlebnis zwischen materieller Dingwelt und metaphysischer Idee, verlaufen auf einem scharfen Grat, der, da sich der Konflikt zumindest auf einer der Rationalität verpflichteten Ebene nicht lösen lässt, notwendigerweise nur Absturz und Scheitern in Aussicht stellt. Ein unlösbarer Konflikt, der zwischen lebendiger Falschheit und in Lähmung erstarrender Wahrheit gefangen scheint. Die Widersprüchlichkeiten sollen sich in den idealen Bilderwelten Norbergs auflösen. Das erzeugte Spannungsfeld beschreibt den Zustand eines zur Selbstbespiegelung verurteilten Geistes, der sich keine Ausflüchte erlauben will.
Die in jüngster Zeit entstehenden Arbeiten Norbergs scheinen den Konflikt ideeller Vorstellung und materieller Erscheinung weiter verschärfen zu wollen. Plötzlich wird die gewohnte und beruhigend distanzierte Axialität und Symmetrie verlassen, es tauchen Diagonalkompositionen auf. Sperrholzplatten mit wilden, flammigen Holzmaserungen hacken eine krass auf Materielles verweisende Hintergrundsfläche in die sensibel-ideellen Bilderwelten. Ein konsequenter Schritt des Künstlers zur Dramatisierung und Präzisierung seiner künstlerischen Fragestellung.
Anmerkungen:
1
Donald Judd, in: Specific Objects, 1965
2
Gottlob Frege, Logische Untersuchungen, 1923
3
René Descartes, Meditationes de prima philosophia, 1641
4
Plato, Politiea, Volume X
Markus Löffelhardt ist ein deutscher Kunsthistoriker und Autor zahlreicher Publikationen zu Kunst und Architektur, er lebt in Berlin.
Veröffentlicht in: Monografie Hannes Norberg, modo Verlag, Freiburg, 2005. Deutsch / Englisch, Hardcover, 22 × 28 cm, 80 Seiten, ISBN 978-3-937014-21-0
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Konstruktion und Idee
Markus Löffelhardt / 2005
Immer gleiches Material.
Dämmstoffplatten unterschiedlicher Stärke.
Zugeschnitten und mit der Walze überfärbt.
Die architektonisch anmutenden Konstruktionen Hannes Norbergs verweisen einerseits deutlich auf das Sujet der Architektur. Architektur, die als Inbegriff und Symbol eines materiell gedachten, vom Menschen entworfenen Beziehungsraumes fungiert. Andererseits wird in der Banalität des immer gleichen homogenen, richtungslosen und instabilen Materials ein bewusstes Desinteresse an der materiellen Dingwelt, der architektonisch-statischen Konstruktion thematisiert.
Feine Diagonalen führen den Betrachter bisweilen in die Tiefe der Bildgründe. Gleichzeitig jedoch wird diese Raumaneignung konterkariert, indem eine flache Staffelung von Tiefenebenen aus dünnen Platten die Räumlichkeit zusammenpresst. Manchmal sind die Raum schaffenden Diagonalen auch gänzlich aus den Ansichten verbannt und dadurch fast reine Flächigkeit realisiert, die nur noch durch zarteste Schattenwirkungen der flachen Körper Räumlichkeit erahnen lassen.
Die auf axiale Ansichten reduzierten Raumausschnitte folgen strenger Symmetrie und lassen ein dynamisches Erleben und Begreifen dreidimensionaler Perspektiven nicht zu. Die dazu notwendige Bewegungsfreiheit gefriert in der Axialität eines einzigen Standpunkts. Aus einem Moment scheinbar atemlosen Innehaltens entsteht ein Zustand größter Konzentration. Größenverhältnisse lassen sich aus den Ansichten ebenso wenig eruieren, wie der Entstehungsprozess oder die verwendeten Materialien. Allenfalls feinste, erst bei längerer Betrachtung auszumachende Spuren handwerklicher Bearbeitung, materieller Textur, seien es Stoßkanten oder Zeichen von farblicher Oberflächenfassung finden sich in den großformatigen Fotos. Materiell-sinnliche Momente werden bewusst auf ein Minimum reduziert. Eine klare Beschränkung auf wenige Bildmittel, mit wenigen Konstanten ergibt ein überschaubares Repertoire an Steuerungsparametern, das dem Künstler das Umsetzen seiner sehr präzisen Bildvorstellungen ermöglicht.
Norberg schöpft sein Formenvokabular aus einer eindeutig klassischen Tradition–Axialität, Symmetrie, strenger Bildaufbau und sensibles Abwägen der Proportion–wie sie auch von den Minimalisten verarbeitet wurde. Der von ihm verwendete Formenkanon lässt beispielsweise die Plastiken Donald Judds assoziieren, offenbart gleichzeitig jedoch gravierende Differenzen: Donald Judd: „Drei Dimensionen sind wirklicher Raum. Das befreit vom Problem des Illusionismus und des nur bezeichneten Raumes–Raum in und um Markierungen und Farben–, ist Befreiung von einem der hervorstechendsten Relikte europäischer Kunst, einem, gegen das am meisten vorzubringen ist."1 Judd reduzierte seine Objekte bis zu einem Punkt, an dem keine Verunsicherung mehr stattfinden kann und wollte die Problematik des visuellen Transfers kategorisch ausklammern. In dieser Vorgehensweise kommt die grundsätzlich positive Einstellung dieser Künstlergeneration hinsichtlich ihrer eigenen Fähigkeiten und künstlerischen Potenziale zum Ausdruck.
Norberg will nichts ausklammern, nichts vermeiden, nichts umgehen. Vielmehr stürzt er sich geradezu in den Strudel der Zweifelhaftigkeiten; scheut nicht deren Abgründe. Die Thematik seiner Arbeiten finden sich im Fokus eines heute bestimmenden Misstrauens gegenüber der scheinbar einfachen Konstruktion einer Dualität geistiger Innen- und materieller Außenwelt. Der Philosoph Gottlob Frege demontierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die über das Visuelle vermittelte Beziehung von Geist und Welt mit seiner in Einfachheit kaum überbietbaren Formulierung: „Netzhautbilder können nicht gesehen werden".2 Der radikale Zweifel an allen Sinneseindrücken, wie ihn Descartes hypothetisch formulierte, führt bekanntlich in die vollkommene Isolation, zur unüberwindlichen Gefangenschaft in der individuellen Geisteswelt.3 Frege dagegen stellte lediglich den Mechanismus der Wahrnehmung als fragwürdige Interpretationsleistung des Individuums in Frage.
Wo stehen wir heute? Die vollkommene Demontage des Vertrauens in das Bild als Abbild, als Verweis auf etwas anderes, wird mit der Erfahrung kontrastiert, dass die inflationäre Bilderflut unserer Tage keineswegs die erwartete Entwertung des Bildes im Sinne eines schwindenden Realitätsgrades nach sich zieht. Im Gegenteil wird immer deutlicher, dass Bilder heute einen Realitätsgrad erreichen, der dem mittelalterlicher Bilderverehrung in nichts nachsteht.
Die Bilder Hannes Norbergs bewegen sich genau in diesem Spannungsraum zwischen Illusionismus und autonomem Bild. Sie sind keine Zufallsprodukte oder Ergebnisse spontaner Gestaltungsideen, keine künstlerischen Schöpfungen in der Art, wie sie Platon einst zu beschreiben versuchte. Im Zustand des Enthusiasmos, also einem irrationalen, der Reflexion nicht mehr zugänglichen Geisteszustand, glaubte der Philosoph jegliches künstlerische Schaffen ansiedeln zu müssen. Dass über die Vermittlung von unzuverlässigen Sinnesdaten Erkenntnis entstehen könnte, lehnte er kategorisch ab, was ihn wie bekannt in nicht unerhebliche Schwierigkeiten brachte, empfahl er doch anderenorts das Messen, Zählen und Wägen als Mittel, von bloßem Meinen zu Wissen zu gelangen. Seinem nach rationaler Erkenntnis strebendem Geist, der die Sinnesvermittlung generell ablehnt, bleibt schließlich lediglich die Mathematik als Wissenschaft zur Gewinnung unzweifelhafter Erkenntnis.4 Platon warf damit eine noch heute aktuelle und ungelöste epistemologische Problematik auf.
Die Arbeiten Norbergs dürfen nicht in den Bereich des Irrationalen gedrängt werden, wenngleich dem Künstler solche Impulse kein absolutes Tabu bedeuten. Der Entstehungsprozess von der ersten Entwurfsidee bis hin zum fertigen Bild wird in präzise reflektierten und konsequenten Prozessen vorangetrieben. Am Anfang stehen unzählige Skribbles, lockere Ideenskizzen, die später auf Millimeterpapier gebracht konkretisiert werden. Meist sind geometrische Grundformen Ausgangspunkt der Bildfindung. Proportionen werden abgewogen, Flächen und Farben gegeneinander gestellt. Von dort führt der Weg weiter zum Modell aus industriell gefertigten Dämmplatten, das den komplexen Einflüssen von Licht und Schatten ausgesetzt wird. Flächen werden dabei zerteilt, durch Schattenkanten und Farbmodulierungen die gewünschten Wirkungen präzisiert. Die Fotografie der Komposition und die anschließende Weiterentwicklung ist dabei reines Gestaltungsmittel auf dem Weg zum fertigen Bild. Ein Bild, das nicht als Verweis auf die materielle Konstruktion verstanden werden will, sondern als Endergebnis eines komplexen Entwurfs- und Gestaltungsprozesses. Dazu kommt eine intensive geistige Auseinandersetzung mit den künstlerischen Positionen seiner Zeit–sei es die amerikanische Farbfeldmalerei oder auch jüngere Positionen zeitgenössischer Fotografie– denen sich der Künstler öffnet und die damit einen permanenten inhaltlichen, wie formalen Einfluss auf seine Arbeit ausüben, diese in Frage stellen und Weiterentwicklungen bewirken. Beim Betrachten der Fotografien ist nicht mehr unmittelbar zu erkennen, dass es sich um Fotografien von gebauten Objekten handelt. Auch mit anderen Mitteln, beispielsweise durch Malerei oder mit Grafikprogrammen ließen sich solche Ansichten generieren.
Das bedeutet natürlich nicht, dass hier eine Inszenierung von Sinnestäuschung im Sinne eines Trompe l'œils angestrebt würde. Vielmehr ist die genaue Identifizierung unwichtig geworden. Die Verwendung des Mediums Fotografie stellt für den Künstler die schlüssigste Vorgehensweise dar, da sie der Polarität zwischen Dingwelt und Abbild Rechnung trägt. Das Verlassen der Motivation zur Identifizierbarkeit des Bildes erscheint vor dem Hintergrund eines jahrzehntelangen Bemühens um Exaktheit und Aufrichtigkeit in Bezug auf visuelle Transferleistungen, als bedeutungsvoller Paradigmenwechsel künstlerischer Orientierung.
Norbergs Medien werden als Werkzeuge benutzt, um sie einer Vorstellung, einer Bildidee dienstbar zu machen. Die Medien selbst haben dabei keine tiefere Bedeutung mehr, sondern nur dienende Funktion. Impetus ist die Produktion eines Bildes, das den ästhetischen Vorstellungen des Künstlers entspricht. Das Bild steht schließlich vollkommen autonom, ohne auf ein Dahinter verweisen zu wollen. Die Interaktion zwischen Bild und Betrachter wird damit zum zentralen Thema.
Die Bilder folgen strengen, als klassisch zu bezeichnende Ordnungsschemata und offenbaren sich damit als Geste der Sehnsucht nach Stabilität und Klarheit in einem Kosmos der Ästhetik. Die Widersprüchlichkeiten, die in den Arbeiten Norbergs virulent werden, einerseits die klare Anspielung und Verwendung einer Bildgrammatik aus der Wahrnehmungsgewohnheit einer dreidimensionalen Körperwelt, andererseits das Ignorieren oder gar die Negation derselben, also das changierende Erlebnis zwischen materieller Dingwelt und metaphysischer Idee, verlaufen auf einem scharfen Grat, der, da sich der Konflikt zumindest auf einer der Rationalität verpflichteten Ebene nicht lösen lässt, notwendigerweise nur Absturz und Scheitern in Aussicht stellt. Ein unlösbarer Konflikt, der zwischen lebendiger Falschheit und in Lähmung erstarrender Wahrheit gefangen scheint. Die Widersprüchlichkeiten sollen sich in den idealen Bilderwelten Norbergs auflösen. Das erzeugte Spannungsfeld beschreibt den Zustand eines zur Selbstbespiegelung verurteilten Geistes, der sich keine Ausflüchte erlauben will.
Die in jüngster Zeit entstehenden Arbeiten Norbergs scheinen den Konflikt ideeller Vorstellung und materieller Erscheinung weiter verschärfen zu wollen. Plötzlich wird die gewohnte und beruhigend distanzierte Axialität und Symmetrie verlassen, es tauchen Diagonalkompositionen auf. Sperrholzplatten mit wilden, flammigen Holzmaserungen hacken eine krass auf Materielles verweisende Hintergrundsfläche in die sensibel-ideellen Bilderwelten. Ein konsequenter Schritt des Künstlers zur Dramatisierung und Präzisierung seiner künstlerischen Fragestellung.
Markus Löffelhardt ist ein deutscher Kunsthistoriker und Autor zahlreicher Publikationen zu Kunst und Architektur, er lebt in Berlin.
Veröffentlicht in: Monografie Hannes Norberg, modo Verlag, Freiburg, 2005. Deutsch / Englisch, Hardcover, 22 × 28 cm, 80 Seiten, ISBN 978-3-937014-21-0
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