Fotografie als Bildkonstrukt
Peter Lodermeyer / 2011
Auffallend viele Künstler der jüngeren Generation zeigen sich ganz unbekümmert um Gattungsgrenzen, arbeiten abwechselnd in diversen Genres und verwenden je nach Situation die verschiedensten Medien. Mit den Werken von Hannes Norberg, Jahrgang 1969, verhält es sich ganz ungewöhnlich. Seine Arbeitenweisen Referenzen zur Skulptur und zur Architektur auf, unterhalten ganz wesentliche Beziehungen zur Malerei und lassen neuerdings zudem Bezüge zur Typografie, zur Ornamentik und zum Comic erkennen. Und dennoch ist es nur ein einziges Medium, mit welchem der in Düsseldorf lebende Künstler arbeitet, nämlich die Fotografie.
Wenn man sich einer von Norbergs typischen, meist großformatigen Fotos nähert, etwa der No. 150 von 2010 (viele seiner Arbeiten tragen als Titel nur schlichte Nummern), wird man zunächst eine monumentale abstrakte Skulptur zu sehen glauben. Der Eindruck des Blockhaften, der Massigkeit und Schwere des monumentalisierten Objekts löst sich jedoch bei längerer Betrachtung nach und nach auf. Die Schlagschatten auf dem dreigeteilten Motiv lassen sich nämlich nur verstehen, wenn man es nicht als massive, sondern als offene, abgeflachte Struktur begreift. Bei eingehender Betrachtung melden sich dann auch vermehrt Zweifel bezüglich der Größe und des Materials der vermeintlichen Skulptur. Die Kratzer im Putz der Rückwand deuten darauf hin, dass das Objekt sehr viel kleiner sein muss als zunächst gedacht, und seine Oberflächentextur entspricht aus der Nahsicht auch nicht der Rauheit und Härte, die man von Beton- oder Steinoberflächen erwartet. Tatsächlich handelt es sich bei fast allen Objekten, die Hannes Norberg fotografiert, um relativ kleine und leichte, von ihm selbst geformte und mit der Farbrolle eingefärbte Konstruktionen aus Polystyrol-platten. Der Schaumstoff dient gewöhnlich als Dämm- oder Verpackungsmaterial und eignet sich auch hervorragend zum Modellbau. Modellhaft sind die Objekte Norbergs in der Tat, zugleich aber auch sehr abstrakt, umso verblüffender ist es, wie es ihm immer wieder gelingt, den Betrachter tonnenschwere Skulpturen, Bauwerke oder Landschaften sehen zu lassen. Angesichts seiner Fotos kann man sich des merkwürdigen Phänomens vergewissern, dass wir Formen nicht einfach nur wahrnehmen, sondern sie zugleich immer interpretieren. Wir sehen etwas „als etwas“ – und oft genug als etwas völlig anderes.
In Norbergs Kunst geht es stets darum, Objekte zu kreieren und so zu arrangieren, auszuleuchten und zu fotografieren, dass der Punkt markant herausgearbeitet wird, an dem sich beide Wahrnehmungsseiten gleichwertig einstellen: die Wahrnehmung dessen, was tatsächlich vorhanden ist – die Arrangements aus Hartschaumobjekten – und ihre Umdeutung in skulpturale, in architektonische oder landschaftliche Gebilde.
Mit der Zeit hat sich das Verhältnis dieser beiden Wahrnehmungsseiten jedoch langsam verschoben. Norberg begann im Jahr 2000 mit den fotografierten Hartschaumobjekten zu arbeiten. In den ersten Jahren waren seine Motive stets exakt achsensymmetrisch aufgebaut und bildparallel angeordnet. Aufgrund dieses strengen Kompositionsschemas war die Anmutung von minimalistischen Skulpturen oder modernistischen architektonischen Formen fast unvermeidlich. Im Jahr 2005 ist dann erstmals eine Auflockerung des Bildaufbaus zu beobachten. Norberg positionierte seine Motive nun häufiger in Schrägstellung, sodass sie eine stärkere räumliche Präsenz gewannen. Auch die Unter- und Hintergründe wurden immer wichtiger, es zeigten sich Rückwände mit Holzmaserungen und - besonders zukunftsträchtig - mit Zeitungen, später auch mit Landkarten oder Comics ausgelegte Bodenflächen. Die Schrift- und Bildelemente dieser eigenwilligen Textlandschaften stehen aufgrund ihrer extremen perspektivischen Verzerrung meist hart an der Grenze zur Unlesbarkeit. In den Jahren 2006/07 entstand zudem eine ganze Reihe von Fotografien, die mit irregulär aufgeschichteten Hartschaumstreifen arbeiten. Es ist frappierend zu sehen, wie stark der landschaftliche Eindruck dieser Fotos – die Vorstellung von sich auftürmenden Gesteinsschichten oder aufgebrochenen Eisschollen – sich selbst dann noch einstellt, wenn eine offensichtlich unnatürliche Färbung wie das grelle Orange in No. 124 von 2007 unmissverständlich signalisiert, dass es sich bei dem Motiv bloß um ein künstliches Arrangement handelt.
Die neueren Fotografien, die ihre Arbeitsmittel deutlicher offenlegen als in den ersten Jahren, lassen klar erkennen, dass es Norberg nicht um Wahrnehmungstäuschung als Selbstzweck geht. Nicht die Fragen von Abbildlichkeit oder gar von trompe-l’œil-hafter Illusion, sondern die Befragung von Bildlichkeit überhaupt steht im Mittelpunkt seiner fotografischen Untersuchungen. Der Künstler ist sich dessen sehr bewusst, dass eine Fotografie trotz ihrer fast unvermeidlichen illusionistischen Räumlichkeiten doch primär ein zweidimensionales Bildfeld ist. Und dieses Bild in möglichst allen Aspekten der Formenkomposition sowie der Licht- und Schattenverteilung zu gestalten, ist das Hauptanliegen des Künstlers. Daraus ergibt sich ist auch der bereits erwähnte, vielleicht nicht auf den ersten Blick ersichtliche Bezug zur Malerei. Wie ein Maler schafft sich Norberg seine Bildgestalt selbst. Aus diesem Grund hat Norberg sich überhaupt dazu entschlossen, seine Motive konsequent selbst zu gestalten und im Studio zu arrangieren.
Die Landschafts- und Architekturfotografie, mit der er sich vor 2000 beschäftigt hatte, war zu sehr vom zufälligen Finden geeigneter Motive abhängig, als dass sie seinen Ansprüchen an die Fotografie als Bild hätte genügen können. Statt sich mit ungewissem Ausgang auf die Suche nach einer in allen Details stimmigen Bildgestalt zu machen, entschied sich der Künstler dafür, diese selbst zu konstruieren. Der Aufbau im Atelier gibt ihm die Möglichkeit, das Bild akribisch durchzukomponieren und in allen Details zu bestimmen. Dieser konstruktive Zug ist ein ganz wesentlicher Aspekt seines Werks. Dass sie trotz aller Planung und dem Hang zur Perfektion offen ist für die interpretierende „Mitarbeit“ des Betrachters, hat unmittelbar mit der Lenkung seiner Wahrnehmung zu tun: Indem in Norbergs Arbeiten Bildrealität und Vorstellung in einen produktiven Konflikt geraten, erschließen sie dem Auge bislang ungesehene und rätselhaft vieldeutige Bildwelten.
Dr. Peter Lodermeyer ist ein deutscher Kunsthistoriker, Autor, Kritiker und Kurator, er lebt in Bonn.
Erschienen in: Junge Kunst Magazin #86, 2011
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Fotografie als Bildkonstrukt
Peter Lodermeyer / 2011
Auffallend viele Künstler der jüngeren Generation zeigen sich ganz unbekümmert um Gattungsgrenzen, arbeiten abwechselnd in diversen Genres und verwenden je nach Situation die verschiedensten Medien. Mit den Werken von Hannes Norberg, Jahrgang 1969, verhält es sich ganz ungewöhnlich. Seine Arbeitenweisen Referenzen zur Skulptur und zur Architektur auf, unterhalten ganz wesentliche Beziehungen zur Malerei und lassen neuerdings zudem Bezüge zur Typografie, zur Ornamentik und zum Comic erkennen. Und dennoch ist es nur ein einziges Medium, mit welchem der in Düsseldorf lebende Künstler arbeitet, nämlich die Fotografie.
Wenn man sich einer von Norbergs typischen, meist großformatigen Fotos nähert, etwa der No. 150 von 2010 (viele seiner Arbeiten tragen als Titel nur schlichte Nummern), wird man zunächst eine monumentale abstrakte Skulptur zu sehen glauben. Der Eindruck des Blockhaften, der Massigkeit und Schwere des monumentalisierten Objekts löst sich jedoch bei längerer Betrachtung nach und nach auf. Die Schlagschatten auf dem dreigeteilten Motiv lassen sich nämlich nur verstehen, wenn man es nicht als massive, sondern als offene, abgeflachte Struktur begreift. Bei eingehender Betrachtung melden sich dann auch vermehrt Zweifel bezüglich der Größe und des Materials der vermeintlichen Skulptur. Die Kratzer im Putz der Rückwand deuten darauf hin, dass das Objekt sehr viel kleiner sein muss als zunächst gedacht, und seine Oberflächentextur entspricht aus der Nahsicht auch nicht der Rauheit und Härte, die man von Beton- oder Steinoberflächen erwartet. Tatsächlich handelt es sich bei fast allen Objekten, die Hannes Norberg fotografiert, um relativ kleine und leichte, von ihm selbst geformte und mit der Farbrolle eingefärbte Konstruktionen aus Polystyrol-platten. Der Schaumstoff dient gewöhnlich als Dämm- oder Verpackungsmaterial und eignet sich auch hervorragend zum Modellbau. Modellhaft sind die Objekte Norbergs in der Tat, zugleich aber auch sehr abstrakt, umso verblüffender ist es, wie es ihm immer wieder gelingt, den Betrachter tonnenschwere Skulpturen, Bauwerke oder Landschaften sehen zu lassen. Angesichts seiner Fotos kann man sich des merkwürdigen Phänomens vergewissern, dass wir Formen nicht einfach nur wahrnehmen, sondern sie zugleich immer interpretieren. Wir sehen etwas „als etwas“ – und oft genug als etwas völlig anderes.
In Norbergs Kunst geht es stets darum, Objekte zu kreieren und so zu arrangieren, auszuleuchten und zu fotografieren, dass der Punkt markant herausgearbeitet wird, an dem sich beide Wahrnehmungsseiten gleichwertig einstellen: die Wahrnehmung dessen, was tatsächlich vorhanden ist – die Arrangements aus Hartschaumobjekten – und ihre Umdeutung in skulpturale, in architektonische oder landschaftliche Gebilde.
Mit der Zeit hat sich das Verhältnis dieser beiden Wahrnehmungsseiten jedoch langsam verschoben. Norberg begann im Jahr 2000 mit den fotografierten Hartschaumobjekten zu arbeiten. In den ersten Jahren waren seine Motive stets exakt achsensymmetrisch aufgebaut und bildparallel angeordnet. Aufgrund dieses strengen Kompositionsschemas war die Anmutung von minimalistischen Skulpturen oder modernistischen architektonischen Formen fast unvermeidlich. Im Jahr 2005 ist dann erstmals eine Auflockerung des Bildaufbaus zu beobachten. Norberg positionierte seine Motive nun häufiger in Schrägstellung, sodass sie eine stärkere räumliche Präsenz gewannen. Auch die Unter- und Hintergründe wurden immer wichtiger, es zeigten sich Rückwände mit Holzmaserungen und - besonders zukunftsträchtig - mit Zeitungen, später auch mit Landkarten oder Comics ausgelegte Bodenflächen. Die Schrift- und Bildelemente dieser eigenwilligen Textlandschaften stehen aufgrund ihrer extremen perspektivischen Verzerrung meist hart an der Grenze zur Unlesbarkeit. In den Jahren 2006/07 entstand zudem eine ganze Reihe von Fotografien, die mit irregulär aufgeschichteten Hartschaumstreifen arbeiten. Es ist frappierend zu sehen, wie stark der landschaftliche Eindruck dieser Fotos – die Vorstellung von sich auftürmenden Gesteinsschichten oder aufgebrochenen Eisschollen – sich selbst dann noch einstellt, wenn eine offensichtlich unnatürliche Färbung wie das grelle Orange in No. 124 von 2007 unmissverständlich signalisiert, dass es sich bei dem Motiv bloß um ein künstliches Arrangement handelt.
Die neueren Fotografien, die ihre Arbeitsmittel deutlicher offenlegen als in den ersten Jahren, lassen klar erkennen, dass es Norberg nicht um Wahrnehmungstäuschung als Selbstzweck geht. Nicht die Fragen von Abbildlichkeit oder gar von trompe-l’œil-hafter Illusion, sondern die Befragung von Bildlichkeit überhaupt steht im Mittelpunkt seiner fotografischen Untersuchungen. Der Künstler ist sich dessen sehr bewusst, dass eine Fotografie trotz ihrer fast unvermeidlichen illusionistischen Räumlichkeiten doch primär ein zweidimensionales Bildfeld ist. Und dieses Bild in möglichst allen Aspekten der Formenkomposition sowie der Licht- und Schattenverteilung zu gestalten, ist das Hauptanliegen des Künstlers. Daraus ergibt sich ist auch der bereits erwähnte, vielleicht nicht auf den ersten Blick ersichtliche Bezug zur Malerei. Wie ein Maler schafft sich Norberg seine Bildgestalt selbst. Aus diesem Grund hat Norberg sich überhaupt dazu entschlossen, seine Motive konsequent selbst zu gestalten und im Studio zu arrangieren.
Die Landschafts- und Architekturfotografie, mit der er sich vor 2000 beschäftigt hatte, war zu sehr vom zufälligen Finden geeigneter Motive abhängig, als dass sie seinen Ansprüchen an die Fotografie als Bild hätte genügen können. Statt sich mit ungewissem Ausgang auf die Suche nach einer in allen Details stimmigen Bildgestalt zu machen, entschied sich der Künstler dafür, diese selbst zu konstruieren. Der Aufbau im Atelier gibt ihm die Möglichkeit, das Bild akribisch durchzukomponieren und in allen Details zu bestimmen. Dieser konstruktive Zug ist ein ganz wesentlicher Aspekt seines Werks. Dass sie trotz aller Planung und dem Hang zur Perfektion offen ist für die interpretierende „Mitarbeit“ des Betrachters, hat unmittelbar mit der Lenkung seiner Wahrnehmung zu tun: Indem in Norbergs Arbeiten Bildrealität und Vorstellung in einen produktiven Konflikt geraten, erschließen sie dem Auge bislang ungesehene und rätselhaft vieldeutige Bildwelten.
Dr. Peter Lodermeyer ist ein deutscher Kunsthistoriker, Autor, Kritiker und Kurator, er lebt in Bonn.
Erschienen in: Junge Kunst Magazin #86, 2011
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